Bhola zum Zeitpunkt der
Anmeldung in unserer Schule

Bhola, kurz bevor er
ermordet wurde


Nur Tote fordern keinen Schadenersatz

Ganz aktuell wird uns ein ungeheuerlicher Vorfall aus der Region Nepals gemeldet, in der unser Verein seine Schulen unterhält. Ein Schüler unserer Schule ist ermordet worden!

Die Tatumstände lassen erschreckend deutlich werden, wie weit das Königreich Nepal noch von unseren Standards entfernt ist, und wie bitter nötig unsere Bildungsinitiative ist. Damit die bisher als Menschen 2. Klasse behandelten „Unberührbaren“ endlich ihre legalen Rechte einfordern können.

Doch hier die Fakten, die uns unsere Projektpartner am 9. Oktober 2003 per E-Mail berichteten:

Der 10 jährige Schüler der 3. Klasse unserer Schule in Padariya – Bhola Sah – wurde tot im Zuckerrohrfeld gefunden. Nachdem zunächst die Guerilla – Organisation der Maoisten für den sinnlosen, gewaltsamen Tod verantwortlich gemacht wurde, kamen bei den folgenden intensiveren Nachforschungen allerdings die wahren Begebenheiten ans Licht. ...und diese Wirklichkeit war an Brutalität kaum zu überbieten.

Ein landwirtschaftliches Fahrzeug – wahrscheinlich ein Traktor – hatte bei einem Unfall den Jungen verletzt. Doch Bhola starb nicht an diesen Verletzungen. Es wurde in ein nahes Zuckerrohrfeld geworfen und starb dort, nachdem er brutale Schläge in den Nacken erhalten hatte. Ob er an diesen Schlägen gestorben ist, oder durch unterlassene Hilfeleistung wird z. Zt. noch geklärt. Der tote Körper des Jungen wurde erst nach 2 Tagen entdeckt.

Die Schlussfolgerungen, die unsere Projektpartner aus diesem Fall ziehen, machen die ganze Situation der „Unberührbaren“ deutlich. In Nepal ist es billiger, jemanden bei einem Unfall zu töten, als zu verwunden. Die Entschädigungszahlungen für Verwundete sind wesentlich höher. Also wägte der Fahrer ab – und ermordete kaltblütig das Unfallopfer! Da es sich bei dem Opfer um ein Mitglied der untersten Bevölkerungsschicht handelte, und der Fahrzeughalter höchstwahrscheinlich zu den höheren Kasten gehört, könnten auch entsprechende Vorurteile eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben. Die Unberührbaren werden oftmals nicht einmal als Menschen anerkannt. Arbeiter, Diener – für die niedrigsten Arbeiten. Keiner merkt, wenn jemand fehlt. Es gibt genug Ersatz. Besonders schlimm finden wir den Umstand, dass der Mörder als „Nachbar“ unerkannt weiter unter den Opfern lebt. Landwirtschaftliche Fahrzeuge haben keinen großen Aktionsradius.

Bhola Sah war schon beim Start unseres Projektes im Jahr 2000 dabei, und besuchte jetzt die 3. Klasse. Seine Schulnoten bewegten sich im oberen Drittel. Wie viele andere Eltern auch, verzichtete die Familie auf die Möglichkeit der Kinderarbeit (die eine geringfügige Erhöhung des Familieneinkommens bedeutet hätte), um dem Jungen Bildungschancen zu eröffnen. Bijnan und Somariya Sah, die Eltern, verdienen als Tagelöhner zusammen 500 Rp monatlich. Das entspricht ca. 7,50 Euro. Die „Investitionen“ der Familie in eine bessere Zukunft, das Beschränken auf das Lebensnotwendigste um den Schulbesuch zu ermöglichen – all das vergebens! Mit dem kleinen Bhola werden auch Zukunftschancen dieser Familie zu Grabe getragen.

Mehr als zuvor wird deutlich, wie notwendig die Arbeit von „Zukunft entwickeln e.V“ mit dem Schulprojekt ist. Ein höheres Bildungsniveau bedeutet auch, seine Rechte fordern zu können. Wir wissen nicht, inwieweit das Engagement unserer Lehrer und Projektpartner dazu beigetragen haben, die Untersuchungen doch noch bis zur Ermittlung des wahren Tathergangs weiterzuführen. Die Normalität bei solchen Fällen ist leider immer noch: wegsehen, ignorieren, abstreiten...

Zumindest in „unserer“ Region Sarlahi ist das diesmal anders. Unsere Projektpartner berichten von hartnäckigen Nachfragen seitens der Bevölkerung und der Lehrerschaft an die Behörden. Alle wollen, das dieses Verbrechen aufgeklärt und die Schuldigen ihrer gerechten Strafe zugeführt werden. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. In Deutschland. In Nepal bedarf es anscheinend größerer Anstrengungen, damit Unrecht gesühnt wird.