Hintergrundinformationen zum GN – Artikel „ Mit 14 Jahren Witwe“

In Nepal – besonders in den ärmeren Bevölkerungsschichten – ist das Leben ein fortwährender Daseinskampf. Es geht schlicht um den Nahrungserwerb für morgen.
Gleichzeitig sind die Menschen stark im hinduistischen Glauben verwurzelt, der von einem immerwährenden Kreislauf von Wiedergeburten ausgeht. Über ein „gutes Leben“ kann man so tatsächlich im nächsten Leben sozial aufsteigen. Ziel ist, irgendwann den ewigen Kreislauf des Lebens abzuschließen um ins Nirwana – das große Nichts – zu gelangen. Unerläßlich sind dabei strikt einzuhaltende Rituale, die dieses „gute Leben“ sichern sollen. So muss man sein Schicksal akzeptieren und ein Sohn muss bei der feierlichen Verbrennung der toten Eltern den Scheiterhaufen entzünden. Der älteste Sohn ist es auch, der automatisch die Versorgung der Eltern im Alter übernimmt. Eine unverheiratete Tochter gilt als Last – sie muss ständig unterhalten werden, ohne selbst außerhalb der Familie ein Einkommen erzielen zu können, denn es gilt als nicht akzeptabel, wenn sie ein eigenständiges, unverheiratetes Leben führt.

Mit diesen Vor – Informationen wird nun folgendes deutlich:

1. Bei der Hochzeit vereinbaren 2 Parteien (die Familien; d. h. der Familienvorstand = Vater) praktisch einen Versorgungsausgleich. Die einen geben einen belastenden Faktor ( Mädchen ) in eine andere Familie ab und zahlen dafür i.d.R. einen Ausgleich. (Mitgift = Dhauri) Diese Mitgift wird manchmal auch dadurch ersetzt, dass die zukünftige Braut schon sehr jung im Schwiegerelternhaushalt mitarbeitet und/ oder dort schon einzieht. Dort hat sie dann eine Art Dienstmagdstellung bis zur eigentlichen Hochzeit. Im Ausland sprechen wir dann fassungslos von Kinderhochzeit.
Hinweis: Da die Schwiegermutter früher ein ähnliches Schicksal erlitten hat, kann man nicht automatisch folgern, das es die neue Schwiegertochter besser hat. Oftmals gibt die Schwiegermutter die damals erlittenen Demütigungen und Entmündigungen an die „Neue“ weiter.

2. Ziel einer jeden Hochzeit sind natürlich Nachkommen. Möglichst viele Söhne. Töchter werden als Übel, Bestrafung durch die Götter o. ä. angesehen, da sie ja einen erheblichen (auch materiellen) Belastungsfaktor darstellen. Wehe der jungen Frau, die nur Mädchen zustande bringen kann ! Die Mitwirkung des Ehemannes wird in solchen Fällen noch nicht einmal in Betracht gezogen. Fast genauso schlimm ist allerdings Kinderlosigkeit.

3. Stirbt ein Ehemann, so wird immer gleich die Frage gestellt, ob die Frau ihrem Mann wohl eine gute Frau gewesen ist, und ob daher nicht das Übel herrührt. In früheren Zeiten war es nicht unüblich, dass die von Selbstzweifeln gepeinigte Witwe ihren Ruf durch die sog. Witwenverbrennung ( Sati ) wiederherstellte. Sie verbrannte sich auf dem Scheiterhaufen ihres Ehemannes selbst. Solche „Opfer“ sind bis in die heutigen Tage bekannt geworden. Solche Handlungsweisen werden noch heute als verehrungswürdig angesehen. Unter Wikipedia gibt es einen sehr guten und ausführlichen Artikel dazu.

4. Aufgrund des „Vertrages“ zwischen den beiden Familien hat ja die Bräutigamfamilie die Versorgung des Mädchens übernommen. Daher ist es üblich, das der jüngere Bruder die Witwe heiratet. So bleibt „alles in der Familie“. In Fall von Laxmi konnte sich die Ehemann-Familie aber nicht dazu durchringen. Die Gründe sind uns nicht bekannt. Vielleicht blockierte Laxmi eine anderweitig schon ausgesuchte gute Partie für den Bruder ? Vielleicht war aber auch die Kinderlosigkeit das große Problem. Schließlich hat Nachkommenschaft auch glaubensspezifische Notwendigkeiten. Vielleicht wollte man so das Risiko der Kinderlosigkeit auch in der neuen Ehe ausschließen. Denkbar ist aber auch ein modernerer Gedanke: Vielleicht wollte man nur möglichen Rechtsansprüchen auf das Erbe aus dem Wege gehen.

5. Fakt ist: Laxmi wurde – trotz Intervention der Dorfgemeinschaft – völlig mittellos an ihre Eltern zurückgegeben. Normalerweise heißt das: Ein Leben in Schande, abhängig von dem, was die alten Leute noch entbehren können. Für eine Witwe gilt ein strenger Ehrenkodex, der praktisch alles auf ein Minimum reduziert, um auch für alle deutlich zu machen, wie lebensunwert das Leben ohne Ehemann eigentlich ist. (Zitat aus einem „Benimmbuch“: .. eine Witwe soll keine süßen Speisen mehr zu sich nehmen…..)

6. All das ist für Laxmi jetzt Vergangenheit. Sie hat sich selbst – mit Hilfe unserer Projektpartner – einen neuen Start ins Leben erarbeitet. Sicherlich war es dabei auch von entscheidender Bedeutung, dass sie bereits 5 Jahre in unsere Schulen gehen konnte. Dort wird – neben dem normalen Lehrplan - sehr viel Wert auf die Vermittlung von Allgemeinbildung, Wissen um die Demokratie, Menschenrechte, Stellung der Frau in der Gesellschaft, Hygiene u.s.w. gelegt. All das, verbunden mit einer 6monatigen besonderen Ausbildung in der Hauptstadt Kathmandu, hat sie befähigt aus der für sie vorgesehenen Rolle auszubrechen. Ein schöner Erfolg, auf den wir alle stolz sein können.